1. Gespräch mit einer Schuldirektorin
Seit vielen Jahren unterrichte ich an einigen Schulen Selbstverteidigung (meistens für die 8. Schulstufe). Beim Treffen mit einer Direktorin einer möglichen neuen Schule, meinte sie, das Training sei für ihre Kinder nicht geeignet, da sie ein anderes Weltbild vermitteln will. Sie erklärte mir (Zitat): "Die Welt ist schön, die Welt ist wahr, die Welt ist gut."
Ich weiß nicht, wie sie das einem Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt erklären würde. Ich habe auch nicht nachgefragt, sondern das Gespräch beendet.
2. Selbstverteidigung
Das Ziel von Selbstverteidigung ist, Gewalt möglichst zu vermeiden. Wenn ich — im Extremfall — jemanden niederschlage, er mich deshalb aber nicht ermordet, dann ist unterm Strich weniger Gewalt passiert. Der beste Weg, um Gewalt zu vermeiden, ist Flucht; das ist auch das Ziel von Selbstverteidigung!
Rechtlich ist die Frage (in Österreich) im §3 StGB geklärt.1 Die nötige Selbstverteidigung gegen einen Angriff ist erlaubt, wenn (a) dieser Angriff illegal ist, (b) dieser Angriff gerade passiert oder jeden Augenblick passieren könnte und (c) der Angriff gegen Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Eigentum des Opfers gerichtet ist. Allerdings darf die Verteidigung nicht deutlich gefährlicher sein als der mögliche Schaden.
3. Was sagt die Bibel?2
A. Altes Testament
Im Alten Testament finden wir ganz klar, dass Selbstverteidigung ein allgemeines Recht ist. Z.B. erlässt der König Mordechai auf Grund des Einflusses von Esther, dass Juden sich, ihre Familie und ihren Besitz verteidigen und sogar dass sie den Gegner (im Ernstfall) töten dürfen (Esther 8,10–11).
In der Torah ist der aktive Schutz einer Frau im Fall eines Vergewaltigungsversuchs eine Selbstverständlichkeit. Auch wenn die gesamte Stelle für heute eher befremdlich ist, ist davon die Rede, dass ein Vergewaltiger eine Frau auf dem Feld trifft. Das "Mädchen schrie, aber niemand war da, der es rettete." Offensichtlich ist Gedanke, dass nur Gott eingreifen darf, aber kein Mensch, im alten Testament unbekannt.
Und seien wir einmal ehrlich. Wer würde bei einer Vergewaltigung zusehen und sich denken, dass Gott eingreifen muss, oder die Frau hat eben Pech gehabt. Spätestens mit diesem Beispiel sollte die Frage nach der biblischen Meinung zur Selbstverteidigung bzw. Schutz einer anderen Person (Notwehr und Nothilfe) beantwortet sein.
B. Jesus und die Schwerter
Eine Lehre von Jesus wird von den Gegnern des Rechts auf Selbstverteidigung (und des Rechts auf das Tragen einer Waffe) verwendet, obwohl der Textabschnitt tatsächlich für Selbstverteidigung spricht. In Lukas 22,36 und 28 sagt Jesus zu seinen Jüngern: "'Aber jetzt, wer eine Börse hat, der nehme sie und ebenso eine Tasche, und wer nicht hat, verkaufe sein Kleid und kaufe ein Schwert.' [....] Sie aber sprachen: 'Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter.' Er aber sprach zu ihnen: 'Es ist genug.'"
Das Argument der Pazifisten ist, dass Jesus seine Jünger zurechtweist und sagt: "Genug der Diskussion." Tatsächlich bestätigt er aber, dass für die Gruppe der zwölf Männer die zwei Schwerter ausreichen, um sich vor Überfällen zu schützen. Wir müssen bedenken, dass die Landstraßen damals nicht so sicher waren, wie heute bei uns. Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist der fast tödlich Raub keine freie Erfindung, sondern ein durchaus bekanntes Problem.Ein anderes Argument gegen Selbstverteidigung ist, dass Jesus von symbolischen Schwertern spricht, z.B. davon, dass wir ein Kleidungsstück verkaufen sollen, um eine Bibel zu haben. Diese Interpretation macht aber keinen Sinn, weil er vorher nicht von einer symbolischen Börse oder Tasche spricht. Warum sollte sich das plötzlich ändern?
Dass Jesus nicht gegen die Schwerter — und damit gegen eine bewaffnete Selbstverteidigung ist — lässt sich deutlich in der Tatsache erkennen, dass er weder hier noch bei der Gefangennahme in Gethsemane sagt, die Jünger sollten die Schwerter wegwerfen. Im Gegenteil, in Johannes 18,11 befiehlt er Petrus, sie Waffe wieder zurück zu stecken, nicht wegzuwerfen. Jesus will nicht, dass wir schutzlos Verbrechern ausgeliefert sind!
C. Die andere Wange
Viele Christen vertreten, dass man sich körperlicher Gewalt nicht aktiv entgegenstellen darf (zumindest nicht als Privatperson, die Polizei darf es). Das Argument kommt aus der Bergpredigt, in der Jesus sagt: "Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Auge um Auge und Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Widersteht nicht dem Bösen, sondern wenn jemand dich auf deine rechte Wange schlägt, dem halte auch die andere hin." (Matt 5,38–39)
Aber diese Interpretation ist falsch! Erstens ist das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen. Die Aussage Jesu geht nämlich weiter mit: "... und dem, der mit dir vor Gericht gehen und dein Untergewand nehmen will, dem lass auch den Mantel!" (Matt 5:40) Auch der größere Zusammenhang ist das Gericht. D.h. es geht nicht um einen Überfall, gewalttätige Banden oder einen Vergewaltigungsversuch.
Zweitens wird übersehen, dass auch der "Angriff" kein Grund zur aktiven Selbstverteidigung ist. Eine Ohrfeige ist in Österreich keine Körperverletzung (zumindest nur sehr selten), sondern eine Beleidigung. Das war auch zur Zeit Jesu so. In der jüdischen Lehre ist die Strafe für eine Ohrfeige mit dem Handrücken doppelt so hoch wie eine normale (400 bzw. 200 Zuz; Mishnah, Baba Kamma 8.6)
Jesus verbietet hier keine Selbstverteidigung. Wenn es so wäre, würde er sagen: "Wenn dich jemand krankenhausreif prügelt, sag ihm, er soll es noch einmal tun." Dass das nicht Jesu Botschaft ist, ist offensichtlich.
4. Zusammenfassung
Bei einigen Themen kann man, ohne die Grundlage der Bibel zu verlassen, verschiedener Meinung sein. So auch hier. Aber ich bin davon überzeugt, dass die pazifistische Einstllung gegen das Recht auf Selbstverteidigung den grundlegenden christlichen Werten widerspricht. Christen haben nicht nur das Recht, sich und andere zu schützen, sondern sogar die Pficht, das zu tun. Ein Abschieben dieser Verantwortung auf den Staat (Polizei), ist Feigheit.
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Das ist mein persönliches Verständnis vom österreichischen Recht. Ich bin kein Jurist und kann keinerlei Verantwortung für die Korrektheit oder daraus resultierende Taten übernehmen (siehe §3 StGB, Österreich). ↵
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Die Argumentation beruht auf dem Buch von meinem Professor für systematische Theologie am Phoenix Seminary, Dr. Wayne Grudem, Christian Ethics: An Introduction to Biblical Moral Reasoning (Wheaton: Crossway, 2018), 551–65. ↵