Christlicher Perfektionismus

"Ihr sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist." (Matt 5,48)

Christlicher Perfektionismus, wie er noch heute teilweise gelehrt wird, besagt, dass man als Christ den vollkommen heiligen Zustand erreichen kann — noch in diesem Leben. Vollkommen bedeutet, dass man nicht mehr willentlich (nur noch unbewusst) sündigt.

Ich lehne diesen "Christlichen Perfektionismus" als unbiblisch ab! Aber ich bin davon überzeugt, dass wir uns als Christen viel weiter entwickeln können, als wir glauben.

Seid vollkommen!?

Gibt uns Jesus in der Bergpredigt den unerfüllbaren Auftrag, perfekt zu sein? Auf den ersten Blick scheint es so. Das Wort für vollkommen (τελειος) bedeutet, dass man das Ziel erreicht hat, vollendet und perfekt ist. Um es fromm auszudrücken: man hat die Heiligung abgeschlossen. Jesus sagt also (scheinbar) zu seinen Jüngern: "Ihr sollt perfekt sein!"

Das hört sich nicht nach dem Evangelium, der guten Nachricht an. Selbst Paulus hat geschrieben, dass er zwar ohne Sünde leben will, es aber nicht schafft: "Das Gute, das ich will, übe ich nicht aus, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich." (Röm 7,19). Wenn sogar Paulus daran scheitert, perfekt zu sein, wie kann ich das erreichen? Wie kann ich vor Gott irgendwie bestehen? Die Antwort hat vier Teile.

1. "Seid vollkommen" ist eine Zielvorgabe

Jesus beschreibt hier, wie wir sein sollen, was die moralische Vorgabe ist. Aber er sagt damit nicht, dass wir perfekt sein müssen, um Christen zu sein, damit Gott uns liebt oder damit wir das ewige Leben nicht verlieren! Jesus sagt uns, woran wir uns orientieren sollen, wo die Reise hingeht, was das Ziel ist; ein Ziel, das wir noch nicht erreicht haben, an dem wir aber einmal ankommen werden.

2. Tatortarbeit — Details sind wichtig!

Bei der Spurensicherung an einem Tatort ist es wichtig, dass man keine Details übersieht. Manchmal ändert ein Haar oder eine andere "Kleinigkeit" alles. Die Anweisung "ihr sollt ..." ist in der Zukunftsform (wörtlich: "ihr werdet vollkommen sein"). Hier ist es aber als Befehlsform verwendet, als Imperativ. Aber was bedeutet das für uns heute?

Zum einen übersetzt Matthäus hier die aramäische Predigt von Jesus ins Griechische. Höchstwahrscheinlich orientiert er sich hier an der LXX (der Septuaginta, der damals verwendeten griechischen Übersetzung des Alten Testament). Die Zukunftsform als Befehl zu verwenden, kennen wir aber auch im Deutschen. "Du wirst morgen pünktlich sein!" ist je nach Zusammenhang eine Vorhersage oder ein Befehl.

Diese Art von Befehl ist im Griechischen zwar üblich, der tatsächliche Befehl ("Sei morgen pünktlich!") ist aber deutlich stärker. Das ist auch in der Übersetzung von Matthäus zu sehen. "Ihr sollt ..." nicht "ihr müsst ..." oder "seid vollkommen".

4. Was bedeutet "vollkommen" überhaupt?

In der LXX wird teleios (τελειος, vollkommen) für das hebräische tmym (תמים) verwendet, wie z.B. in 5. Mose 18,13: "Du sollst vor dem Herrn, deinem Gott vollkommen sein." Das steht im Gegensatz zu den anderen Völkern, die andere Götter verehren.

Einen ähnlichen Gedanken formuliert Paulus in Römer 12,2 so: "Seid nicht gleichförmig mit dieser Welt." Seid anders, orientiert euch an anderen Zielen. Und er schreibt weiter: "Sondern werden verändert durch die Erneuerung eures Geistes."

Wenn wir bereits jetzt vollkommen wäre, müssten wir uns nicht ändern. Perfektion ist das Ziel, inneres Wachstum und Veränderung ist der Weg, auf dem wir uns befinden.

Jesus macht keine Probleme — er ist die Lösung!

"Wenn wir unsere Sünden bekennen, dann ist er [Gott] treu und gerecht, dass er unsere Sünden vergibt und uns von aller Ungerechtigkeit reinigt." (1 Joh 1,9)

Das ist die gute Nachricht! Durch Christus haben wir Vergebung. Dieser Vers ist so wichtig im Leben als Christ, dass es dazu einen eigenen Artikel geben wird.

Aber Gott schenkt uns mehr! Wir haben nicht nur Vergebung und sind von aller Ungerechtigkeit befreit, sondern bekommen die Gerechtigkeit von Jesus auch noch dazu. Wenn "nur" unsere Sünden vergeben sind, dann sind wir wieder bei Null — alles Negative ist weg, aber damit gibt es noch nichts Positives. Natürlich haben wir auch gute Werke im Leben (schließlich ist niemand nur schlecht), aber vor Gott zählt das nicht. Für Gott muss es perfekt sein.

Wir können diesen perfekten Zustand nicht erreichen und haben damit ein Problem: uns fehlt das Ansehen, das wir bei Gott haben sollten (siehe Röm 3,23). Doch jetzt kommt der perfekte Deal! Jesus trägt nicht nur unsere Schuld, sondern gibt uns auch seine Gerechtigkeit als Sohn des Vaters. Damit werden wir Kinder Gottes — ohne eigene Leistung, unabhängig von eigener Leistung, trotz unserer Fehler, ohne Einschränkung, für immer und ewig!

Nachtrag: Durch Jesus wachsen - Christian Training

Aber Gott gibt sich noch immer nicht zufrieden, sondern will mehr für uns! Jesus ist gekommen, damit wir echtes Leben im Überfluss haben (Joh 10,10). Wir sollen wachsen, uns entwickeln, nicht nur Kinder Gottes sein, sondern auch so leben. Wir verdienen uns damit nicht die Errettung oder Ansehen bei Gott (wir sind schon seine geliebten Kinder, wie wollen wir das noch übertreffen???). Aber unser Charakter, unsere Persönlichkeit, unser Leben soll sich Schritt für Schritt verändern. Christlich ausgedrückt: Gott will unsere Heiligung. Einfach ausgedrückt: wir entwickeln uns als Menschen und Christen weiter.

Und hier hilft das Christian Training.